Uhren – eine Tradition aus Lenzkirch
Die Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation Lenzkirch, kurz A.G.U.L. war eines der führenden Unternehmen der Schwarzwälder Uhrenproduktion. Im Jahre 1851 gegründet, produzierte und verkaufte die Firma in rund 80 Jahren ihres Bestehens weit über zwei Millionen Großuhren. Im Jahre 1924 in Uhrenfabrik Lenzkirch A.G. umbenannt, wurde sie 1927 nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten von der Firma Junghans übernommen und im August 1929 aufgelöst.
Gründung und Unternehmensgeschichte
Aus der kleinen Werkstatt von Ignaz Schöpperle (*1810; †1882) und Eduard Hauser (*1825; †1900) hervorgegangen, wurde die Aktiengesellschaft zusammen mit den Unternehmern Franz Josef Faller, Nikolaus Rogg, Paul und Nikolaus Trittscheller und Josef Wiest am 31. August 1851 in Lenzkirch gegründet. Aufgrund der technischen Entwicklung und der hohen Qualität der hergestellten Uhrwerke und Uhren gewann das Unternehmen schnell an Bedeutung und konnte sich ständig vergrößern.
Aufschwung und Blüte in den ersten 60 Jahren
Zur Entwicklung vor dem ersten Weltkrieg schreibt ein Zeitzeuge zu Anfang des Jahres 1914 Folgendes: “Die Gründung der Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation in Lenzkirch erfolgte im Jahre 1851, und ihr Arbeitsfeld war im Anfänge die Erzeugung der feineren massiven Werke, welche bereits seit langem in Frankreich und Oesterreich fabriziert wurden. In den Anfangsjahren produzierte die Lenzkircher Fabrik nur Uhrenbestandteile, wie Räder, Triebe, Zugfedern usw., die sie wieder an kleinere Fabrikanten abgab. Zugleich befasste sie sich aber auch mit dem Finieren von Rohwerken, die aus Frankreich bezogen wurden, sowie mit dem Absatz vergoldeter Pendülen, welche als Rohgehäuse von Paris kamen. Bezüglich der Vergoldung gab es anfangs grosse Schwierigkeiten, bis es gelang, sie schön und haltbar herzustellen. In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts bildeten diese vergoldeten Zinkpendülen einen Hauptabsatzartikel und wurden zu Tausenden jährlich verschickt. Schon im Jahre 1856 nahm dann die Fabrik die Herstellung von Werken selbst in die Hand. Hierbei wurden auch die ersten selbsttätigen Räderzahnmaschinen konstruiert und benutzt. 2 Jahre später bekam die Fabrik die erste Goldene Medaille für die „Einführung fabrikmässiger Anfertigung von Uhrwerken und Uhrenbestandteilen in bedeutender Ausdehnung und Vollkommenheit“, wie das Diplom besagt. Ungefähr in derselben Zeit wurden auch die ersten Regulateurwerke mit Federkraft und etwas später mit Gewichtzug hergestellt, und damit der Regulateur eingeführt, der jahrelang fast ausschliesslich den deutschen Markt beherrschen sollte. Die Holzgehäuse wurden bis 1862 von kleinen auswärtigen Kästenschreinern bezogen. In diesem Jahre wurde ein grosses Gebäude errichtet, in welchem man nun eigene Gehäusefabrikation betrieb. Von nun an konnten vollständig in der Fabrik hergestellte Uhren auf den Markt gebracht werden. Auch diese Fabrik profitierte von dem wirtschaftlichen Aufschwunge nach dem 1870er Kriege und konnte ihre Gebäude wie ihre maschinelle Einrichtung bedeutend vergrössern. In den 1870er und 1880er Jahren wurde eine ganze Anzahl neuer Artikel in die Fabrikation aufgenommen, von denen wir nur die feinen Glockenspieluhren für den englischen Markt und die Reisewecker hervorheben wollen. Letztere bildeten in kürzester Zeit einen überaus absatzfähigen und begehrten Artikel. Im Jahre 1900 brannte ein grosses Magazingebäude nieder, wurde aber in demselben Jahre wieder aufgebaut, und die ganze Fabrikanlage in den nächsten 2 Jahren um ein Drittel erweitert. So wurden eigene Gebäude für die automatischen Maschinen, für die Vergolderei und Beizerei, für die Glaserei, ein Benzinhaus erstellt und eine Holztrocken- und Spänetransportanlage erbaut. Das Maschinenhaus wurde um das Doppelte erweitert, eine neue grosse Dampfmaschine angeschafft und die Kraftübertragung in die einzelnen Werkstätten auf elektrischem Wege eingerichtet. Mit dieser äusseren Ausdehnung wurde auch die innere Einrichtung vervollständigt, indem weitere und vorteilhafte Maschinen angeschafft wurden. Auf Grund dieser fortwährenden Neueinrichtungen, Verbesserungen und Erweiterungen, wurde es der Fabrikleitung denn auch möglich, seit den 80er Jahren desletzten Jahrhunderts in rascher Folge Hausuhren mit Kettenzug, Wecker mit Ankergang, hochfeine Normaluhren für Sternwarten und Observatorien, Schiffsuhren, Laufwerke für elektrische Apparate und physikalische Messwerkzeuge, Tischuhren mit Dreiviertel- und Vierviertel-Schlagwerken, englische Fünfgongs-Tischuhren, kleine Nippuhren für Boudoirs und Schreibtische mit Zylinder- und Ankergang usw. auf den Markt zu bringen. In den Werkstätten der Fabrik finden wir ein Personal von etwa 400 Arbeitern. Ausserdem beschäftigt die Fabrik noch eine Zahl von Hausarbeitern. Die Zahl der Hilfsmaschinen beläuft sich auf mehrere Hundert. Als Kraftquelle hierfür dienen eine Turbine von etwa 40 PS und eine Dampfmaschine von etwa 170 PS Sie erzeugen die nötige elektrische Kraft zum Betrieb der Fabrik und zur Beleuchtung derselben. ln sämtlichen Werkstätten ist auch Dampfheizung vorhanden. Zum Betrieb gehören ferner ein Sägewerk, ein Walzwerk, eine Giesserei, eine Vergolderei, eine Metallätzerei, eine Metalldruckerei und eine mechanische Werkstätte. In letzterer werden fortwährend Spezialmaschinen hergestellt, hauptsächlich sogen. Automaten, die auf äusserst sinnreiche Art konstruiert sind, um einzelne Uhrenbestandteile fix und fertig aus dem Rohmaterialselbsttätig herzustellen. Die arbeiterfreundlichen Einrichtungen der Gesellschaft dürfen auch nicht unerwähnt bleiben. Schon im Jahre 1858 wurde der „Krankenverein“ gegründet, der im Jahre 1885 in die Fabrikkrankenkasse überging. Ferner fasste die Firma nach kaum 8jährigem Bestehen den Beschluss, eine Kasse ins Leben zurufen, die unverschuldet in Not geratenen Arbeitern Unterstützung gibt, und die den Namen „Versorgungskasse“ führt. Eine weitere im Jahre 1885 gegründete Kasse ist die „Witwen-,Waisen- und Alterskasse“, die bei eintretenden Todesfällen die Witwen und Waisen unterstützt und den ältesten Arbeitern Altersprämien zukommen lässt. Heute bevorzugt die Fabrik den modernen Stil, aber auch die konservative Geschmacksrichtung findet Uhren in Biedermeier, Empire, Rokoko, Barock, Renaissance und Gotik vor. Daneben sieht man ganze Spezialkollektionen, so z. B. diejenigen für England und Russland. Diese Länder haben eigene Geschmacksrichtung, und die Fabrik schmiegt sich diesen Eigenarten an, indem sie besondere Muster und Modelle für sie baut. Besonders hervorzuheben ist noch, dass die Lenzkircher Uhrenfabrik seit einigen Jahren eine vollständige Reorganisation der Werkkonstruktionen durchgeführt hat, und zwar durch Schaffung vollständig neuer Kalibermodelle, die nach dem Prinzip des Schablonensystems konstruiert sind, fast in derselben Weise, wie dies bei den feinen Präzisionstaschenuhren der Fall ist. Diese neuen Werke sind unter dem Namen „Agul“ im Handel bekannt geworden. (Allgemeines Journal der Uhrmacherkunst 1914 (Band 39, Nr. 1, Seite 7/8)”
Nachkriegsjahre ab 1918
Nach dem ersten Weltkrieg, in dem die Uhrenproduktion zum Erliegen kam und ausschließlich kriegswichtige Waren hergestellt wurden, kam es aufgrund sehr hoher Nachfrage zu einem sprunghaften Aufleben des Unternehmens. Diese positive Entwicklung kam aber sehr schnell wieder zum Erliegen. Missmanagement, Konkurrenz, die Weltwirtschaftskrise und die Weigerung, die Qualität zu Gunsten billigerer aber absatzstärkerer Massenware zurück zu nehmen, führten das Unternehmen schließlich in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Nach Aktienübernahme durch den Junghans-Konzern Mitte 1928, wurde die Gesellschaft im August 1929 aufgelöst und mit der Gebr. Junghans AG verschmolzen. Ihre Geschichte endet schließlich 1933, als die letzten Maschinen und Einrichtungen an die Kadus Werk GmbH verkauft werden.
Tipp: Als angemeldeter Nutzer erhalten Sie kostenlos Zugriff auf die Seite “Historisches” und damit Einsicht in hunderte Fundstellen zur Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation aus zeitgenössischen Publikationen.