“Als ich vor einigen Tagen einen Gewicht-Regulator mit Schlagwerk (Lenzkircher Fabrikat) verkaufte und bei diesem Anlasse das Werk aus dem Kasten nahm, um es zu ölen — bekanntlich hat man an diesen Uhren nichts weiter zu thun —, bemerkte ich zu meiner Ueberraschung auf der rückseitigen Platine des Uhrwerks unter dem bekannten Fabrikstempel die Worte „Eine Million“ eingestempelt und darunter die Zahl 62 114.
„Eine Million! Welch’ eine enorme Zahl, von der sich vielleicht Mancher gar keinen rechten Begriff machen kann“ — musste ich mir denken. Wenn sonst im gewöhnlichen Leben der Fall vorkommt, dass bei der Fabrikation werthvoller Waaren diese Zahl erreicht wird, so wird dieses seltene Ereigniss meist festlich begangen; der millionste Besucher einer Ausstellung z. B. wird in der Regel feierlich empfangen, beschenkt etc. So mag es auch für die Leiter und Arbeiter der „Aktien-gesellschaft für Uhrenfabrikation“ in Lenzkirch ein schöner Ehrentag gewesen sein, als das Uhrwerk mit dem bedeutsamen Stempel „Eine Million“ vollendet aus den Werkstätten hervorging.
Aber auch wir Uhrmacher haben gerechte Ursache, uns dieses Tages, der in der breiteren Oeffentlichkeit anscheinend gar nicht bekannt geworden ist, zu freuen. In einer Zeit, wo alle Erzeugnisse — und die Uhrenwahrlich nicht zuletzt — mehr und mehr den Stempel des Soliden verlieren und fast ausnahmslos nur nach der Devise „so billig als möglich, wenn auch auf Kosten der Qualität“ hergestellt werden, ist es eine doppelterfreuliche Erscheinung, wenn eine Fabrik prosperirt, die vor allem dem Grundsätze „grösste Solidität und Güte“ huldigt. Unter jener Million Uhren der Lenzkircher „Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation“ sind viele tausende in Deutschland durch deutsche Uhrmacher abgesetzt worden, und mancher der letzteren hat durch die solide Waare den Ruf seines Geschäfts gehoben und bei Reparatur derselben mit verhältnissmässig leichter Arbeit sein täglich Brod verdient, während gleichzeitig durch die Schunduhren, welche so manche andere Fabrik in die Welt setzt, uns unser Leben verbittett und die Erwerbung des Unterhalts masslos erschwert wird. Ich glaube deshalb umso mehr im Sinne vieler Kollegen zu handeln, wenn ich an dieser Stelle und aus freiem Antriebe der genannten Firma, welche so wesentlich zur Hebung der Uhrenindustrie im Schwarzwalde beigetragen hat, noch nachträglich zu ihrer millionsten Uhr unsern Glückwunsch ausspreche und ihr zurufe: „Lenzkirch, halte fest an deinem Grundsätze, ausschliesslich solide und gute Wetke zu bauen, durch den du dir bisher schon deinen Weltruf erworben hast; dann wird in nicht zu weiter Ferne der Tag anbrechen, an dem deine Produktion die zweite Million erreicht hat!“
Maximilian Hartmann, Schrobenhausen, Oberbayern.
Deutsche Uhrmacher-Zeitung 1896 (XX. Jahrgang, No. 5, Seite 91)