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Die Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation Lenzkirch

Die Lenzkircher Handelsgesellschaften
Dr. Walter Tritscheller, 1922, Seite 88-94

Die Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation Lenzkirch.

Wie die Draht- und Schraubenfabrik Falkau in ihren Anfängen durch die Elsässer Kompanie gefördert wurde und durch sie sich zu einem Großbetrieb entwickelte, so hat die Uhrenfabrik Lenzkirch ihre Gründung und eifrigste Förderung am meisten Faller Tritscheller & Cie. zu verdanken. Da Lenzkirch ohne diese Fabrik heute undenkbar wäre, und die Nachkommen der Teilhaber von Faller Tritscheller & Cie. auch heute noch die Leitung und den größten Teil der Aktien in Händen haben, soll auf die Entwicklung des Unternehmens an dieser Stelle näher eingegangen werden.

1849/50 hatten Ignaz Schöpperle und Eduard Hauser den Plan gefaßt, eine Werkstätte oder kleine Fabrik zur Herstellung von massiven Uhrenbestandteilen auf mechanischem Wege zu errichten. Diese Bestandteile sollten an die Uhrmacher des Schwarzwaldes abgegeben werden, die dergleichen bis dahin weder hinsichtlich des Erstellungspreises, noch hinsichtlich der präzisen Arbeit und noch viel weniger bezüglich der Mengen von Hand herstellen konnten. Da es diesen beiden Männern am nötigen Betriebskapital für ein solches Versuchsunternehmen fehlte, sahen sie sich nach wohlwollenden Mitunternehmern um, die sie bei Faller Tritscheller & Cie., d. i. bei Franz Josef Faller, Paul und Nikolaus Tritscheller auch sofort fanden.

Nach eingehenden Besprechungen wurde der dritte Stock der Schöpperleschen Orchestrionfabrik gemietet und hier die nötigen Drehbänke und Maschinen für 14—18 Arbeiter aufgestellt. Als Betriebskraft diente ein großes Schwungrad, das von Hand getrieben wurde.

Im Anfang wollten aber die Meister der Hausindustrie von den mit maschineller Genauigkeit verfertigten Bestandteilen nichts wissen und bekämpften dieses junge Unternehmen aufs heftigste, worin sich deutlich der Haß der Kleinmeister gegen den kapitalisierten Großbetrieb, der Kampf der Handarbeit gegen die Maschinenarbeit zeigte.

Allein der Zug der Zeit wies mit aller Macht die gesamte Uhrenfabrikation unaufhaltsam zum Fabrikbetrieb hin. Die ganze finanzielle Arbeit des Versuchsgeschäfts wurde in das Kontor der Strohhutfabrik von Faller Tritscheller & Cie. verlegt, wo jeden Samstag sämtliche Arbeiter und Angestellten erschienen, um ihren Lohn in Empfang zu nehmen. Auch in späteren Jahren war diese Gesellschaft die Stütze des Geschäfts. Paul Tritscheller schreibt darüber: „Wie näher nachgewiesen ist, fuhren wir fort, von 1852 bis Ende 1867 in selbstlosester Weise der banquier der Uhrenfabrik zu fein und derselben in kulantester Weise die Gelder zu liefern.“

Am 31. August 1851 wurde nun zur endgültigen Gründung einer Fabrik geschritten. Laut Vertrag wandelte man die Firma „Schöpperle & Hauser“ in „Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation Lenzkich“ um unter der Mitgliedschaft von Franz Jofef Faller, Eduard Hauser, Nikolaus Rogg, Ignaz Schöpperle, Paul Tritscheller, Nikolaus Tritscheller und Josef Wiest, die daher als Gründer des Unternehmens zu betrachten sind.

Jeder der Teilhaber hatte eine Summe von fl. 4000.- als Einsatz und je fl. 1000.- für einen Reservefond zu entrichten, so daß das ganze Aktienkapital fl. 28000.- und der Reservefond fl. 7000.- beitrug. Die Direktion wurde Nikolaus und Paul Tritscheller anvertraut und zum technischen Leiter Eduard Hauser bestimmt.

1852 wurde ein Neubau errichtet, der damals noch wenig kostete, da das Holz und die anderen Baustoffe sowie die Arbeitskräfte leicht zu erhalten waren. Verluste blieben natürlich in den ersten Versuchsjahren nicht aus; bis 1857 hatte sich ein Defizit von fl. 47171.- ergeben, welches von je 12 Aktien aus dem 1856 gebildeten Grundkapital von fl. 100000.- privat getilgt worden ist.

1856 wurde Albert Tritscheller Direktor der Fabrik, nachdem er fünf Jahre auf Studienreisen im Ausland gewesen war, um den Stand der Uhrmacherei genügend kennen zu lernen. Der seit 1857 bestehende Verwaltungsrat setzte sich aus Franz Josef Falter sowie Paul und Nikolaus Tritscheller zusammen.

Die Hauptfabrikation umfaßte feine massive Uhrwerke aller Art, die bis jetzt besonders in Frankreich erzeugt worden waren. Diese Fabrikation in Deutschland einzuführen, ist vom besten Erfolg begleitet gewesen. Trotzdem man im großen ganzen der Branche treu blieb, traten in bezug auf Spezialartikel mehrfache Wandelungen ein.

In den ersten Jahren des Bestehens befaßte man sich vorwiegend mit dem „Finieren“ von Rohwerken, die aus Frankreich bezogen wurden, sowie mit dem Absatze vergoldeter Pendulen, welche als Rohgehäuse ebendaher stammten. Bezüglich der letzteren gab es anfänglich große Schwierigkeiten zu überwinden, bis es endlich gelang, eine haltbare Vergoldung zu erzeugen. Schon 1858 bei der Gewerbeausstellung in Villingen erhielt die Gesellschaft die Goldene Verdienstmedaille „für Einführung fabrikmäßiger Anfertigung von Uhrwerken und Uhrbestandteilen in bedeutender Ausdehnung und großer Vollkommenheit“. Es war dabei gelungen, viele kleine Uhrenfabrikanten des Schwarzwaldes, die bisher ihre Rohwerke und Bestandteile aus Frankreich bezogen hatten, als Abnehmer zu gewinnen.

Hierauf folgte die Fabrikation von Federzug und Gewicht-Regulateuren. 1867/68 wurden die ersten Versuche mit Tafeluhren für Rußland mit großem Erfolge unternommen. Dann folgte die Fabrikation von feinen Glockenspieluhren und Reiseweckern, die bald einer der begehrtesten Artikel wurden. Immer weiterstrebend, nahm die Gesellschaft in rascher Folge Hausuhren mit Kettenzug, Wecker mit Ankergängen, Normaluhren, Schiffsuhren usw. in ihren Fabrikationsbetrieb auf, so daß um 1900 eine Musterkollektion von mehreren hundert Mustern und 160 Werksorten vorhanden war. In neuerer Zeit werden hauptsächlich Standuhren mit Westminsterschlag und Wecker in höchster Vollkommenheit hergestellt.

Im Weltkrieg 1914/18 mußte die ganze Fabrik auf Verfertigung von Granatzündern, Zünderteilen und Geschoßkernen, sowie Patronenkasten, Proviantwagen usw. umgestellt werden. Gleich nach Friedenschluß wurde aber mit neuem Schaffensgeist die Uhrenfabrikation wieder aufgenommen.

Ein Unternehmen mit derartigen Aufgaben verfügt natürlich auch über einen großen Betriebsapparat. Die Arbeiterzahl belief sich auf 300 – 650. 1900 sind 275 Uhrmacher und Uhrmacherinnen, 120 Schreiner, 40 Poliererinnen und Lackiererinnen, 46 Mechaniker, Gießer, Stanzer, Vergolder und Packer beschäftigt gewesen.

Die Zahl der Hilfsmaschinen beläuft sich auf mehrere Hundert. Als Kraftquelle dienten bis 1917 zwei Dampfmaschinen mit 200 PS zur Erzeugung des elektrischen Stromes. Seit dieser Zeit wird er direkt vom Kraftwerk Laufenburg bezogen, wodurch fast keine Kohlen mehr gebraucht werden, und der Betrieb auch während der großen Kohlennot nie stilliegen mußte. Die Fabrik umfaßt außer der Uhrmacherei eine Schreinerei und Drechslerei, einen großen Bau mit automalischen Maschinen, die zum Teil von dem verdienstvollen, früheren technischen Direktor Eduard Hauser erfunden und in eigener mechanischer Werkstatt hergestellt worden waren, ferner eine Gießerei, Vergolderei, Packerei usw., alles in allem etwa 25 Gebäude.

Dem Unternehmen ist es aber auch nicht erspart geblieben, verschiedene Krisen durchzumachen. Dies war besonders der Fall in den durch politische Ereignisse und allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang bekannten Jahren von 1866, 1877 und 1892, ferner nach 1900, wo die Gesellschaft das Unglück halte, daß das Magazin mit allen Vorräten durch Brand zerstört wurde. Dieser Verlust machte sich noch lange fühlbar und erst der letzten Zeit ist es gelungen, bei umsichtiger Leitung durch größere Abschreibungen und rationelle Arbeitsmethoden wieder bessere Resultate zu erzielen.

Besondere Verdienste um das Unternehmen haben sich neben den langjährigen Direktoren Albert Tritscheller und Eduard Hauser die vortrefflichen Leiter Adolf Tritscheller und Paul Stritt erworben.

Von sonstigen Einflüssen ist besonders zu erwähnen, daß die Schutzzollära Frankreich gegenüber bedeutenden Vorteil gebracht hat, während die Handelsverträge der späteren Jahre nur bezüglich Rußland von Nutzen waren. Durch die Zollgesetzgebung Amerikas sank der Export dorthin auf wenige tausend Mark herab.

Günstig wirkte hingegen die Eröffnung der Höllentalbahn bis Neustadt 1887, die hauptsächlich der rastlosen Tätigkeit der Gründer der Fabrik Franz Josef Faller und Paul Tritscheller in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der I. und II. badischen Kammer und des Reichstags zu verdanken ist; ferner die Eröffnung der Bahn Neustadt-Lenzkirch-Bonndorf 1907.

Auch für das Wohl ihrer Arbeiter ist die Gesellschaft stets besorgt gewesen. 1858 wurde ein Krankenverein gegründet, der in Erkrankungsfällen Unterstützung bieten sollte. Bei gesetzlicher Regelung des Krankenversicherungswesens ging sein Vermögen von Mk. 25000.- 1885 auf die neue Fabrikkrankenkasse über. 1858/59 faßte die Gesellschaft den Entschluß, unverschuldet in Not geratene Arbeiter durch eine Versorgungskasse zu unterstützen. Diese hatte 1900 ein Vermögen von Mk. 38000.-, so daß ihre Zinsen gut für den gedachten Zweck ausreichten. Eine weitere mit Hilfe der Fabrik gegründete Kasse ist die 1885 ins Leben gerufene „Witwen-, Waisen- und Alterskasse“, die bei eintretendem Todesfall die Witwen und Waisen unterstützt, und den ältesten Arbeitern Altersprämien zukommen läßt. Auch sie befand sich 1900 im Besitze eines Vermögens von Mk. 33000.-. Anläßlich der Fertigstellung des millionsten Uhrwerkes schenkte die Fabrik dieser Kasse 1894 Mk. 10000.-.

Das Unternehmen hat einen Stamm alter Arbeiter, die meistens in eigenen Häusern wohnen und zum Teil Landwirtschaft und etwas Gartenbau betreiben.

Die Gesellschaft wurde wiederholt ausgezeichnet, so in München 1854, Villingen 1858, Karlsruhe 1861, London 1862, Paris 1867, Wien 1873, Chile 1875, Philadelphia 1877, Karlsruhe 1877, Antwerpen 1885, Freiburg i.B. 1887, München 1888, Barcelona 1888, Paris 1900 und Villingen 1907. Auch wurden die Gründer und Leiter des Unternehmens mehrfach mit Auszeichnungen bedacht.

Folgende Tabelle soll den Umfang der Uhrenindustrie in Lenzkirch im Verhältnis zur Fabrikation im Landeskommissariatskreis Freiburg zeigen. Dieser beschäftigte:

18612474Personenin1051Betriebendavon170Personen in der
18751133535603Lenzkircher
Fabrik
18821103397369
1895871317489

1895 bestanden im badischen Schwarzwald 34 Uhrenfabriken mit zusammen etwa 3000 Arbeitern, wovon die Lenzkircher Fabrik als größtes Unternehmen etwa ein Sechstel aller Arbeiter beschäftigte.

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